Was soll man dazu sagen?
Zwei Monate lang kein Schnee in Whitehorse und dem Yukon, und in der Nacht vor dem Start dann zehn Zentimeter. Für Läufer ok, aber mit dem Bike geht da nur schieben.
Tag 1...
Bis zum ersten Checkpoint waren es schon gut fünf Kilometer, auf denen wir Biker wegen unfahrbarer Verhältnisse das Bike schieben mussten. Aber dafür war es warm. Gerade mal -5 Grad zum Start. Das ist für Whitehorseverhältnisse gut fünfzehn Grad zu warm. Ok. Der Wind machte -10 Grad daraus.
Der erste Checkpoint mit Rivendale war nach gut 4,5 Stunden erreicht. Ich fuhr immer gleich auf mit Tim Sommers, einem Australier, der bereits zum dritten Mal am Start war. Bis jetzt war das Gelände eher einfach zu fahren. Aber das sollte sich zum zweiten Checkpoint ändern. Nach gut zehn Kilometer ging es weg vom "River" in die Berge. Ein ständiges Bergauf und Bergab. Auf der Hälfte zum Checkpoint ging dann die Sonne unter. Und mit dem Sonnenuntergang wurde es deutlich kälter. Gut -20 Grad. Aber auf dem Bike ließ es sich aushalten. Hatte ein sehr gutes Licht. Und die Trails machten einfach nur Spaß zu fahren.
Es war dann Zehn Uhr Abends als ich den zweiten Checkpoint erreichte. Lagerfeuer und eine warme Suppe sowie Tee. Tut einfach gut etwas Wärme in den Körper zu bekommen.
Der Plan war ursprünglich bis zum dritten Checkpoint durchzufahren. Das heißt ziemlich genau 160 Kilometer. Bis Kilometer 145 war es auch kein Problem. Die Trails sorgten dafür, dass ich wach blieb. Aber dann wurde die Strecke gerade. Sehr gerade. Immer wieder kämpfte ich mit mir selber. Doch am Ende schlief ich kurbelnd auf dem Bike ein. Aufgewacht bin ich dann in einem Strauch. Zeit für eine kurze Pause. Zelt aufbauen, Wasser kochen, verpflegen. Die Außentemperatur hatte es mit -31 Grad in sich. Wenn man ausgepowert ist wird man sehr empfindlich für Kälte. Doch wie es der Zufall will wurde ich kurz nach dem ich mich so richtig schön in den Schlafsack eingekuschelt hatte wieder aus dem Schlaf gerissen. Mein Zelt wurde angeleuchtet. Als ich das Zelt öffnete, um nach dem Rechten zu sehen, schaute ich in einen übelst hellen Scheinwerfer. In all dem Licht sagte eine Stimme "Fotoshooting!!!"...
Danke Derek. Ich wollt doch nur zwei Stunden schlafen...
Tag 2...
Wach geworden bin ich, weil ich einen Läufer an meinem Zelt vorbei laufen hörte. Der erste 300 Meilen Läufer? Das darf nicht sein. Schnell das Zelt zusammen, alles verstauen und weiter zu Checkpoint Braeburn. Dort war dann aber kein 300 Meilen Läufer. Mich hatte der 100 Meilen Läufer, der gewonnen hat, wach gemacht. Aber Zeit für eine Pause.
Während meines Frühstücks am dritten Checkpoint traf auch Tim Sommers gut 1,5h später ein. Er war sichtlich gezeichnet von der Nacht. Als ich wieder startete legte er sich für gut vier Stunden schlafen. Für mich hieß das nächste Ziel "Checkpoint Ken Lake". Und dies war auch die Etappe, die bei vielen der Teilnehmer als erste psychologische Herausforderung abgestempelt war. Warum erfuhr ich schneller als ich dachte.
Das Gebiet hat unzählige Seen ( Lake & Creek ). Und diese haben eine Dimension wie ich sie nicht kannte. Zwar war die Landschaft genial, aber teilweise radelt man dann doch gut eine Stunde über einen See, der von der Dimension her eher noch als der Dorfweiher von Yukon galt. Dies hatte zur Folge, dass ich den Checkpoint Ken Lake gut 25 Kilometer zu früh erwartete. Die großen Seen und das langsame Tempo ließen ein Täuschen zu. Aber die Herausforderung kam erst mit der Dunkelheit. Denn jetzt ziehen sich die endlosen Creeks noch mehr. Immer wieder meint man, man ist am Checkpoint. Doch es kam wieder anders. Zusätzlich spielte die Müdigkeit Streiche. Sträucher und Bäume sahen kurz aus wie Menschen oder Dinge. Schwer, konzentriert zu bleiben.
Gut sieben Stunden waren nötig um die 69 Kilometer zwischen den Checkpoints zu fahren. Die Ankunft in Ken Lake war nötig. Kurzfristige Winde auf den Creeks hatten Temperaturspitzen bis zu - 39 Grad. Da ist ein Bison-Gulasch und ein heißer Kaffee genau richtig. Schlafen wieder draußen bei -32 Grad. Aber das Lagerfeuer machte die Nacht sehr angenehm. Ich blieb noch wach bis Tim den Checkpoint erreichte. Dank der GPS-Geräte war es relativ einfach seine Ankunft zu errechnen. Als er aber endlich eintraf war er völlig fertig. Starke Atemprobleme. Er hatte vergessen sich ein Tuch vors Gesicht zu ziehen. Die -39 Grad haben seine Bronchien binnen Sekunden eingefroren. Um sein Bike zum Checkpoint zu schieben musste ich ihm helfen.
Tag 3...
Nach gut vier Stunden Schlaf sind wir wieder aufgestanden. Es war halb fünf. Wir hatten geplant, um halb sechs zu starten. Gut fünfzehn Minuten eher waren wir aber schon wieder auf den Rädern. Tim war sehr angeschlagen. Fuhr sehr langsam. Und so startete ich durchaus mit Sorge in den noch dunklen Tag.
Die Sonne lies sich noch Zeit bis halb Zehn, ehe sie komplett zum Vorschein kam. Ich bin weiter gut vorwärts gekommen. Leider hatte sich auf den Trails eine Trinkflasche verabschiedet. Zwei reichen auch. Ab und zu mal stehen bleiben und Schnee schmelzen. Kurze lustige Geschichte war aber, dass über gut 250 Meter Strecke Wölfe die Markierungen heraus gerissen und die Stelle mit einem "Haufen" markiert haben. Getreu dem Motto "Das ist unser Revier".
Gut fünf Stunden waren nötig um den Checkpoint "Carmacks" zu erreichen. Vier Kilometer vorher hab ich noch Schnee geschmolzen. Wenn ich das gewusst hätte...
Gut eine Stunde nach meinem Eintreffen kam auch Tim mit letzter Kraft an. Schwere Atemprobleme. Er machte eine längere Pause und wollte den "Race-Doc" sehen. Ich konnte ihm nicht helfen und fuhr weiter. Zuvor aber gab mir Tim noch meine Trinkflasche, die er gefunden hatte. Bei diesem Rennen arbeiten alle Teilnehmer "Hand in Hand". Jeder hilft Jedem...
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich sehr gut im Rennen. Führender mit großen Abstand. Aber es waren die Trails, die einfach nur Spaß gemacht haben zu fahren. Für mich hieß das aber auch beim nächsten Checkpoint eine "organisatorische" Zwangspause. Diese aber kam von ganz alleine...
Grundsätzlich startet man das Rennen mit dem Gedanken völlig alleine zu sein. Was dies aber speziell im Yukon wirklich bedeutet wurde mir auf genau halber Strecke bewusst.
Mitten auf einem großen Creek brach der Vorderreifen von meinem Bike durch einen "Overflow" Mein Glück war, dass ich mich nicht überschlagen habe. Trotzdem musste ich vom Bike und bin sofort mit den Füßen durchgebrochen. Bis über die Knöchel reichte das eiskalte Wasser. Schnell das Bike rausholen und weg von der Stelle.
In dieser Situation realisiert man dann, dass man völlig auf sich gestellt ist. Den "SOS"-Knopf am GPS-Sender kann man zwar drücken, aber Hilfe kommt erst am nächsten Morgen. Somit musste ich schnelle Entscheidungen treffen. Weiterfahren? Notbiwak? SOS?
Die letzten beiden Punkte waren schnell verworfen. Doch bevor ich weiterfahren konnte, kam schon die nächste Endscheidung. Welche Richtung? Eins war klar. Ich musste schnellstmöglich einen Checkpoint erreichen. Die Kälte kam mit jeder Sekunde mehr in meine Füße. Also entschied ich mich für den nächsten Checkpoint. Am Festland dann erstmal die Schuhe vom Eis befreien. Gut 10 Zentimeter Eis waren auf der Sohle meines linken Schuhs.
Schnell kam ich voran. Jede noch so kleine Steigung stieg ich vom Bike um mittels Schieben meine Beine zu bewegen. Leider war genau dieser Teil eine lange Gerade. Ca. 16 Kilometer nur gerade aus. Keine auch noch so kleine Kurve.
Nach gut drei Stunden erreichte ich endlich den Checkpoint. Zwar waren meine Füße schon etwas taub und sehr kalt, aber Erfrierungen waren noch nicht zu sehen. Trotzdem machte ich gut 7 Stunden Pause. Die Außentemperatur war doch schon bei gut -31 Grad. Also warten und ruhen bis die Sonne aufgeht.
Tag 4...
Mit den ersten Sonnenstrahlen ging es wieder auf mein Bike. Die Zehen hatten sich gut erholt. Trotzdem waren es noch -26 Grad beim Start. Nicht zu unterschätzen.
Für den nächsten Checkpoint, Pelly Crossing, benötigte ich gut fünf Stunden. Aber nach gut zwei waren die Zehen wieder eiskalt. Somit stand die Entscheidung fest in Pelly eine längere Pause von mindestens zwölf Stunden zu machen. Alles andere wäre falsch gewesen...
Tag 5...
Es war gut sechs Uhr morgens als ich durch lautes Lachen geweckt wurde. Zuerst dachte ich, dass Tim weiter machen konnte und Pelly erreicht hat. Aber nein. Es war Jan, der erste Läufer!!!
Seit gut fünf Tagen ist er alles gelaufen. 235 Meilen. Total Irre, der Typ. Ich für meinen Teil wollte eh aufstehen. Aber ihn hier zu treffen war eine große Freude. Super Typ. Ich jedoch wollte schnell die Schleife "Crossing - Farm - Crossing" erledigen. Vier Pässe, 65 Meilen. Und das alles auf einer mit Lockerschnee bedeckten Strecke. Das Komische war nur, dass ich trotz -25 Grad geschwitzt habe. Meine Jacke hatte gut 3 Kilo Mehrgewicht als ich in Pelly Farm angekommen bin.
Kurze Pause zum Sachen trocknen, was essen und wieder zurück. Das Beste an dieser Schleife ist aber, daß man andere Athleten trifft, die grad auf den Weg zur Farm sind. Erster war Jan, der sich tierisch freute. Zu meiner großen Überraschung und Freude kam mir dann Tim entgegen. Hart am kämpfen, überglücklich mich zu sehen. Er hatte nur noch den Willen fertig zu fahren.
Auch Wolfgang, der zweite Deutsche mit Bike, kam mir entgegen. Und zu guter Letzt auch die schnellste Frau, Bernadette, sowie der zweitschnellste Läufer Gavan.
Gegen neun Uhr Abends dann endlich für mich das Ziel. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich habe nicht nur das Rennen bestanden, sondern es auch noch gewonnen. Es war das erste Mal, dass ein Biker die Gesamtklasse vor einem Läufer gewonnen hat, und zusätzlich bin ich der erste Deutsche, sowie der Erste, der die 300 Meilen inoffiziell unter 100 Stunden beendet hat. Ein geiles Gefühl!!!!
Und der Erfahrungswert? Unbezahlbar.....
Bilder vom "Yukon Arctic Ultra 2016"